Bundesrechnungshof: Steuerung der Energiewende weiterhin unzureichend

Die Steuerung der Energiewende durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ist im Hinblick auf die gesetzlichen Ziele einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Elektrizität weiterhin unzureichend. Zu diesem Ergebnis kommt der Bundesrechnungshof in seinem Bericht nach § 99 BHO zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität.

Das BMWi müsse sein Monitoring zur Versorgungssicherheit vervollständigen und dringend Szenarien untersuchen, die aktuelle Entwicklungen und bestehende Risiken zuverlässig abbilden. Außerdem habe das BMWi immer noch nicht festgelegt, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung mit Elektrizität versteht. Angesichts der Entwicklung der Strompreise empfiehlt der Bundesrechnungshof eine grundlegende Reform der staatlich geregelten Energiepreis-Bestandteile.

Im Jahr 2018 unterrichtete der Bundesrechnungshof den Deutschen Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung in einem Bericht nach § 99 Bundeshaushaltsordnung über die Koordination und Steuerung der Energiewende durch das BMWi. Er empfahl unter anderem, dass die Bundesregierung die Ziele Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit quantifiziert.

Seit der Berichterstattung im Jahr 2018 gab es bedeutende Entwicklungen, die sich auf das Angebot und die Nachfrage von Elektrizität auswirken: Im Oktober 2019 beschloss die Bundesregierung das Klimaschutzprogramm 2030. Danach will die Bundesregierung u. a. im Wärme- und Verkehrsbereich stärker auf erneuerbare Energie setzen. Dies soll z. B. durch den möglichst direkten Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien geschehen. Wesentliche Bestandteile sind die Förderung der Elektromobilität und der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Bis zum Jahr 2030 sollen sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland zugelassen und eine Million Ladepunkte vorhanden sein. Öl- und Gasheizungen sollen ersetzt werden durch „klimafreundliche Anlagen“ oder „erneuerbare Wärme“.

Die Bundesregierung hat das Ziel, im Jahr 2030 einen Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 65 % zu erreichen. Neu eingeführt wurde eine CO2-Bepreisung für Verkehr und Wärme ab dem Jahr 2021. Teil des Klimaschutzprogramms 2030 sind auch die verstärkte Nutzung von Wasserstoff und der beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung. Im Juni 2020 beschloss die Bundesregierung eine Nationale Wasserstoffstrategie. Um einen Teil des in Deutschland benötigten Wasserstoffs zu erzeugen, wird zusätzlich erneuerbar erzeugter Strom benötigt. Im August 2020 traten die Gesetze für die Beendigung der Kohleverstromung in Kraft. Bis spätestens zum Jahr 2038 sollen alle Kohlekraftwerke in Deutschland außer Betrieb genommen werden.

Gegenstand der Prüfung durch den Bundesrechnungshof war die Aufgabenerledigung durch das BMWi. Der Bundesrechnungshof ist dabei zum einen der Frage nachgegangen, was das das BMWi unternommen hat, um die Ziele der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität überprüfbar auszugestalten und zu quantifizieren. Zum anderen der Frage, wie das BMWi die Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG ) und des Klimaschutzprogramms 2030 bei der Versorgung mit Elektrizität berücksichtigt und umgesetzt hat.

Die Maßstäbe für die Prüfung des Bundesrechnungshofes sind die Wirtschaftlichkeit und die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit umfasste hier insbesondere die Beachtung des EnWG betreffend die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Versorgung mit Strom. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit verfolgte einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz und berücksichtigte die Aufgaben des BMWi als Energieministerium sowie als Wirtschaftsministerium.

Als Energieministerium hat das BMWi die Energiewende zu gestalten. Zentrales Anliegen der Bundesregierung ist es dabei, die Ziele des energiepolitischen Dreiecks aus Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungsicherheit und Bezahlbarkeit miteinander in Einklang zu bringen. Dabei stehen erhebliche Ausgaben und Kosten im Raum. Eine Studie aus dem Jahr 2016 geht davon aus, dass in den Jahren 2000 bis 2025 einschließlich der Netzausbaukosten insgesamt rund 520 Mrd. Euro für die Energiewende im Bereich der Stromerzeugung aufgebracht werden müssen. Der Bundesrechnungshof schätzte die der Energiewende zurechenbaren Ausgaben und Kosten allein für das Jahr 2017 auf mindestens 34 Mrd. Euro.

Als Wirtschaftsministerium hat das BMWi die Rahmenbedingungen für Unternehmen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher in Deutschland mitzugestalten. Es soll durch Fördermaßnahmen für Technologien, den Mittelstand sowie den Energieund Außenwirtschaftsbereich Impulse setzen für dauerhaftes, tragfähiges Wachstum und Wohlstand. Damit soll es auch einen Beitrag leisten, um die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu sichern. Für Mittelstands-, Innovations- und Technologieförderung waren 5,4 Mrd. Euro im Bundeshaushalt 2020 veranschlagt.

Prüfungsergebnisse des Bundesrechnungshofs zur Versorgungssicherheit bei Elektrizität

Die Versorgungssicherheit umfasst drei Dimensionen: Versorgungssicherheit am Strommarkt, Versorgungszuverlässigkeit und Systemsicherheit. Das BMWi will die Versorgungssicherheit am Strommarkt mit dem Indikator „Lastausgleichswahrscheinlichkeit“ messen, für den es einen Zielwert von 99,94 % festlegte. Zur Versorgungszuverlässigkeit und Systemsicherheit gehört nach Ansicht des Bundesrechnungshofs jedoch zudem die Betrachtung von Netzausbau und Speichern, Netzwartung, Netzstörungen und Maßnahmen zur Gewährleistung der Netzstabilität sowie Nachfragespitzen und Versorgungsausfällen. Zu diesen Aspekten sage das Monitoring des BMWi bisher nichts oder kaum etwas aus. Insoweit sei das Monitoring lückenhaft. Im Übrigen seien die Annahmen des BMWi zur Versorgungssicherheit bei Elektrizität teils zu optimistisch und teils unplausibel. So habe das BMWi kein Szenario untersucht, in dem mehrere absehbare Faktoren zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können. Durch den Kohleausstieg entstehe eine Lücke von bis zu 4,5 Gigawatt gesicherter Leistung, die das BMWi noch nicht bei der Bewertung der Versorgungssicherheit berücksichtigt habe.

Der Bundesrechnungshof fordert das BMWi daher auf, sein Monitoring in allen drei Dimensionen – Versorgungssicherheit am Strommarkt, Versorgungszuverlässigkeit und Systemsicherheit – zu vervollständigen. Weiter müsse das BMWi dringend aktuelle und realistische Szenarien untersuchen. Außerdem sei ein „Worst-Case“-Szenario zu untersuchen, in dem mehrere absehbare Faktoren zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können.

Prüfungsergebnisse zur Bezahlbarkeit von Elektrizität

In keinem anderen EU-Mitgliedsstaat sind die Strompreise für typische Privathaushalte zurzeit höher als in Deutschland. Sie liegen 43 % über dem EU-Durchschnitt. Auch für Gewerbe- und Industriekunden mit einem Stromverbrauch zwischen 20 und 20 000 Megawattstunden (MWh) pro Jahr liegen die deutschen Strompreise teils an der Spitze. Die Strompreise für Großverbraucher mit mehr als 150 000 MWh pro Jahr liegen hingegen unter dem EU-Durchschnitt. Treiber hoher Strompreise waren und sind die staatlich geregelten Preisbestandteile, insbesondere die Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage. Es gibt viele Faktoren, die sich teils erheblich auf das Preisniveau von Strom auswirken. Dazu gehören insbesondere der weitere Ausbau erneuerbarer Energien, die Leistungsfähigkeit des Stromnetzes, die CO2-Bepreisung und das derzeitige System von Entgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen. Das BMWi hat nach der Ansicht des Bundesrechnungshofs weiterhin nicht bestimmt, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität versteht. So gebe es keine Zielwerte, die festlegen, bis zu welchem Niveau Strom als preisgünstig gilt. Das BMWi müsse daher bestimmen, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität versteht. Anhand von Indikatoren sei festzulegen, bis zu welchem Niveau Strom als preisgünstig gilt.

Reform der staatlich induzierten Energiepreis-Bestandteile gefordert

Schließlich fordert der Bundesrechnungshof, das System der staatlich geregelten Energiepreis-Bestandteile grundlegend zu reformieren. Anderenfalls bestünde das Risiko, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und die Akzeptanz für die Energiewende zu verlieren.